Die meisten Menschen wünschen sich, zuhause zu sterben. Doch gut ein Drittel stirbt im Pflegeheim. Das Projekt „Beziehungsweise: Hospiz. konkret.“ des Hospiz Esslingen unterstützt Pflegeheime dabei, dass Sterbende dort möglichst gut begleitet werden. Es fand in den vergangenen beiden Jahren in den fünf von der Stadt Esslingen getragenen Pflegeheimen Obertor, Berkheim, Pliensauvorstadt, Hohenkreuz und Oberesslingen statt. Initiiert und finanziert wurde das Projekt vom Förderverein Hospiz Esslingen.
Ein Praktikumstag, den die Vorsitzende des Fördervereins, Marianne Hertle, im Pflegeheim Obertor absolvierte, gab den Anstoß für das Projekt: „An diesem Tag durfte ich die Abholung einer verstorbenen Bewohnerin miterleben. Sterben gehört zum Leben und daher natürlich auch ins Pflegeheim. Dies wurde mir in diesem Moment nochmals bewusst.“ Der Förderverein habe sich in der Folge die Unterstützung im Bereich der Pflegeheime zum Ziel gesetzt. Denn Hertle vermutet, dass künftig noch mehr Menschen im Pflegeheim sterben. Bewusst habe man die städtischen Einrichtungen ausgewählt. „Wir freuen uns, dass wir in Esslingen die kommunalen Pflegeheime haben, die als Bestandteil der Daseinsfürsorge keine Renditeerwartungen ihrer internationalen Shareholder erfüllen müssen“, so Hertle.
Für Dekan Bernd Weißenborn von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Esslingen, die Trägerin des Hospiz ist, ist es auch Aufgabe des Hospiz inhaltlich und konzeptionell in die Gesellschaft hineinzuwirken. „Wir wollen das Thema würdevoller Hospizbegleitung wachhalten und miteinander darüber ins Gespräch kommen“, so Weißenborn. Das drücke sich auch in einer ganzen Reihe von Projekten mit anderen Partnern aus.
Eines dieser Projekte – „Letzte Fragen“ – beschäftigte sich mit dem Konzept einer sorgenden Gemeinschaft. „Ein Pflegeheim ist eine solche kleine Gemeinschaft, in der sich auch die Stadtgesellschaft abbildet“, erklärt Susanne Kränzle. Die Gesamtleiterin des Hospiz Esslingen hat gemeinsam mit Andreas Heller, Theologe und Professor für Palliative Care an der Universität Graz, ein Konzept entworfen, nach dem gemeinsam mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Heimen Ziele für ein gutes Sterben in den Pflegeeinrichtungen erarbeitet wurden.
Thilo Naujoks, Geschäftsführer der Städtischen Pflegeheime hat dafür gerne die Türen der fünf Einrichtungen geöffnet und die rund 40 Teilnehmenden aus allen Arbeitsbereichen dafür freigestellt. „Wir haben davon gewaltig profitiert, dafür sind wir dem Förderverein und dem Hospiz sehr dankbar.“ Das Thema sei ihm schon lange ein Anliegen gewesen, erzählt Naujoks. Er weiß um die oft schwierige Situation seiner Mitarbeitenden: „Sie müssen dafür sorgen, dass es im Heim ein gutes Leben gibt, doch fast immer liegt auch jemand im Sterben.“ Bei einer knappen Personaldecke fordere das besonders. Doch er ist überzeugt: „Eine hospizliche Haltung muss Basis unserer Betreuungskultur sein.“
Kränzle und Heller ging es im Projekt nicht darum, einfach nur ihre fachlichen Kenntnisse zu vermitteln und „den Einrichtungen zu sagen, wo es langgeht, sondern die Erfahrung und das Fachwissen, das es in den Heimen gibt, aufzugreifen und dann gemeinsam Themen zu erarbeiten“, betont Kränzle. In jedem Pflegeheim wurde ein konkretes Thema entwickelt und ausgearbeitet. Es geht um Mundpflege am Lebensende, um ethische Beratung und Fallbesprechungen in der palliativen Situation ebenso wie um Abschiedskultur, die Kommunikation des Sterbens mit Bewohnern und Angehörigen sowie das gemeinsame Reflektieren nach einem Sterbefall. „Es hat mich sehr berührt, wie engagiert die Teilnehmenden waren“, sagt Susanne Kränzle. Dass die Mitarbeitenden dort abgeholt wurden, wo sie mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen standen, hätten diese als große Wertschätzung empfunden, berichtet Thilo Naujoks. „Es ist viel Wissen da, manches wurde wieder wachgerüttelt.“
Das im jeweiligen Haus Erarbeitete wird nun allen anderen Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Marianne Hertle und Thilo Naujoks ist Nachhaltigkeit wichtig. Ganz bewusst habe man am Projekt deshalb Führungskräfte beteiligt, die ihre Erfahrungen nun in ihren Netzwerken teilen und an Mitarbeitende weitergeben, so der Geschäftsführer. Einiges setze man bereits um, etwa Fallbesprechungen im Vorfeld und Reflexionsgespräche nach einem Sterbefall. Auch der bestehende Palliativleitfaden wurde erweitert. „Und es wird jetzt mehr damit gearbeitet“, berichtet Naujoks.
Im Projekt ging es nicht nur um fachliches Wissen: „Wir wollten Räume schaffen, wo Unsicherheit geteilt werden kann und wir haben die Mitarbeitenden ermutigt, stärker auf ihr Bauchgefühl zu hören und mehr Selbstverstrauen zu haben“, sagt Kränzle. Das gebe im Alltag Sicherheit.
Neben den zentralen Projekten hätten sich etliche „Seitenthemen“ wie der Umgang mit Trauer oder eine gute Gesprächsführung ergeben, erzählt Susanne Kränzle. Dazu soll es nun Fortbildungen geben. Teilweise werden sie ebenfalls vom Förderverein finanziert. Die positiven Rückmeldungen der Teilnehmenden hätten den Vorstand bestärkt, ganz konkrete Unterstützung zu leisten. Thilo Naujoks würde gerne in dieser Konstellation weiterarbeiten. „Die Themen gehen uns nicht aus.“ Der Vorstand des Fördervereins werde demnächst über einen neuen Projektantrag entscheiden, kündigte Hertle an.